Wahl- und andere Parteiprogramme

Ist Bildung eine Voraussetzung, um sinnvoll wählen zu können?

Die Webauftritte könnten unterschiedlicher nicht sein

Die wahrnehmbaren Parteien, die sich 2013 zur Bundestagswahl gestellt haben, sind unten aufgelistet. Ich habe die als PDF verfügbaren Dateien in subjektiver Auswahl kopiert, damit die Links nicht irgendwann ins Nirwana führen. Interessierte Leser mögen die Webseiten der Parteien direkt aufsuchen, um sich eigene Einblicke zu verschaffen.

  • CDU: Wahlprogramm - Wahlprogramm in "leichter Sprache"
    Originellerweise nennen sie das alles schon mal "Regierungsprogramm", wie bescheiden. Wenn man die Versionen in "leichter Sprache" der CDU und SPD vergleicht, dann erkennt man kaum einen Unterschied.
  • SPD: Wahlprogramm - Wahlprogramm in "leichter Sprache"
    Siehe oben, aber hier heisst es im Text nicht "Regierungs"-Programm - die Dateien aber schon, komisch.
  • Linke: Wahlprogramm - (kein Wahlprogramm in "leichter Sprache" vorhanden)
    Die Linke verzichtet auf die leichte Sprache, und leider ist ihr "normales" Wahlprogramm selbst für hochgebildete Menschen eine Zumutung - nicht inhaltlich, sondern weil man von unendlichem Kleingedrucktem erschlagen wird und immer wieder über das Inhaltsverzeichnis gehen muss, um das nächste Kapitel zu erreichen. Ein downloadbares PDF des ganzen Programmes gibt es nicht.
  • Grüne: Wahlprogramm - Wahlprogramm in "leichter Sprache" - 9-Punkte-Karte
    Sehr originell: Die 2-seitige 9-Punkte-Karte ist 4MB groß, das "barrierefreie" (woran merkt man das?) Wahlprogramm mit 327 Seiten (wer soll das bitte lesen?) nur 2MB. Ja, und die Version in "leichter Sprache" bringt es für 36 Seiten auf 6MB.
  • FDP: Wahlprogramm - Wahlprogramm in "leichter Sprache" Kurzwahlprogramm
    Bürgerprogramm ist doch mal eine Alternative. Und die Variante in leichter Sprache ist durchaus gehaltvoller als bei den anderen Bewerbern.
  • AFD: Wahlprogramm -(kein Wahlprogramm in "leichter Sprache" vorhanden)
    Erfrischend kurzer Forderungskatalok (4 Seiten) aber keine Lösungskonzepte...
  • NPD: Wahlprogramm - (kein Wahlprogramm in "leichter Sprache" vorhanden)
    Auch ein Forderungskatalog, keine Lösungskonzepte, viele unbewiesene und mglw. unbeweisbare Behauptungen. Lest selbst - und hier die Gegenargumente.
  • DKP: Wahlprogramm -(kein Wahlprogramm in "leichter Sprache" vorhanden)
    Die DKP ist zwar nicht wirklich "wahrnehmbar", aber da ich Jahrgang 1955 bin, steht sie in meinem Kopf gleich neben der NPD. 16 Seiten Kleingedrucktes ... das muss man selber lesen. Und dann auch gleich die Gegenseite.

Generell fällt auf, dass die Dateigrößen der inhaltlich / sprachlich komprimierten Fassungen ("leichte Sprache" oder "Kurzprogramm / Punkteplan") sofern vorhanden deutlich größer sind als die kompletten Programme. Das liegt daran, dass die komprimierten Fassungen mit Grafiken ausgestattet sind, die aber inhaltlich wenig bringen, sondern nur dem Auge schmeicheln (=Manipulation).

Argumentation oder Manipulation?

Leichte Sprache stellt aus meiner Sicht eine unzulässige Vereinfachung dar. So behaupten in leichter Sprache beispielsweise sowohl die CDU als auch die SPD, dass sie für Mindestlohn seien - nur die unterschiedlichen Wege, dies umzusetzen, fallen komplett unter den Tisch. Dies gilt für die meisten Teile der Programme in leichter Sprache: Sie sind nur noch allgemeines Gelaber und lesen sich wie eine Mischung aus dem Weihnachts-Wunschzettel und den Sagen der Germanen.

Insbesondere das Programm der Grünen in "leichter Sprache" arbeitet nicht mit Argumenten und Erklärungen, sondern stellt einfach Behauptungen auf, die der Leser glauben soll. Ein Beispiel von vielen: "Biologische Lebens-Mittel sind gesund." (Seite 5 oben). Sind sie das? Alle? Immer? Naja, wer's glaubt, wird mit den Grünen selig.

Überhaupt nicht in "leichter Sprache" sind die Programme der Extremisten darzustellen, vermute ich. Die NPD formuliert sowieso eher schlicht (was leider kein Nachteil ist), verwendet aber viele Bilder, und was die DKP zu sagen hat, ist eine Geschichte des Sozialismus-Kommunismus, die man eigentlich nicht kürzen darf. Hier ein Zitat:

Die DDR, ihr konsequenter Antifaschismus, ihr Eintreten für Frieden, Entspannung und Abrüstung sowie die Verwirklichung elementarer sozialer Grundrechte gehören zu den größten Errungenschaften der deutschen Arbeiterbewegung und sind Teil des humanistischen Erbes in Deutschland. [Seite 8, rechte Spalte, dritter Absatz]

So macht man das: Der Todesstreifen als humanistisches Erbe, versteckt in 16 Seiten scheinbar sachlich formulierter "Fakten". Wieder was gelernt.

Man mag mit den Inhalten nicht einverstanden sein, aber eine echte Argumentation, die verständlich ist und (zum Glück) offenlegt, was die Partei tatsächlich vorhat, bieten nur die Extermisten auf ihren Webseiten. Bei den anderen findet sich der übliche Einheitsbrei, und diejenigen, die konkreter werden, haben Stimmen verloren. Wie in der Wirtschaft auch: Wer konkret wird, verliert.

Leider sind die "leichten" Versionen genau das, nämlich zu leicht um seriös zu sein. Ich finde: Gerade diejenigen Mitbürger, die sich mit dem Verständnis schwertun, müssen genaue Erklärungen der Hintergründe in verständlicher Form bekommen - und wenn das lange dauert und teuer ist, es gehört nach meiner Auffassung zur politischen Bildung und ist damit Pflicht des Gemeinswesens. Den Parteien darf man es nicht überlassen, denn sie werden immer im eigenen Interesse weglassen um zu vereinfachen und insbesondere um zu manipulieren.

Disclaimer

Die hier zitierten, verlinkten oder bereitgestellten Äusserungen der einzelnen Parteien geben in keinem Fall meine Einstellungen oder Meinungen wieder. Ich habe mich damit hier nur befasst, um den Sinn und Unsinn von "Wahlprogrammen" in unterschiedlichen Versionen, Formen und Farben kritisch zu würdigen. Ich habe auch nicht die Absicht verfolgt, die einzelnen Parteien und ihre Programme und Aussagen tiefgehend inhaltlich zu bewerten, sondern mich jeweils nur auf die Art der Formulierung, Darbietung und den "Manipulationsgrad" bezogen.

Stefan Brunthaler
Berlin, im September 2013

 

 

Wer nix versteht erkennt auch keine Unterschiede